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RNA: Kulturkampf Version 2.0 Das neue Unfehlbarkeitsdogma
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Das im ersten Vatikanischen Konzil 1870 beschlossene päpstliche Unfehlbarkeitsdogma brachte die Schweizer Katholiken in einen schweren Loyalitätskonflikt mit dem Bundesstaat. Unter dem Vorwurf des Ultramontanismus wurden die Papsttreuen von den Bundesinstitutionen ferngehalten. Die gegen die katholische Kirche gerichteten Ausnahmeartikel fanden Eingang in die revidierte Bundesverfassung von 1874, die damit verbundene Diskriminierung und Ausgrenzung der Katholiken wurde erst mit der dritten Verfassung von 1999 beendet (der letzte Ausnahmeartikel 72 Abs. 3 nBV ist 2001 in einer Volksabstimmung gelöscht worden).

In der Corona-Krise ist ein Kulturkampf der anderen Art ausgebrochen: Diesmal geht es um die Unfehlbarkeit der Wissenschaft statt die des Papstes und der Vorwurf des positivistischen Ultraszientismus (statt des Ultramontanismus) steht im Raum (der Positivismus hält bekanntlich nur für wahr, was naturwissenschaftlich hier und jetzt messbar, verifizierbar ist). Wissenschaftlichkeit beansprucht auch die neu entwickelte Boten-RNA, die den Aufbau eines Coronavirus-Proteins ermöglicht und das als Vakzin eingesetzt wie ein antizipiertes Medikament wirkt. Dieses mRNA baut aber auf einem, mit der sogenannten Genschere (Nobelpreis 2020) ausgeschnittenen und kopierten Teil der DNA auf, wodurch der Verdacht aufkam, dass aus dem «Boten» ein «blinder Passagier» sich in das Genom einschleichen und irreversible Langzeitfolgen mit sich bringen könnte. Die Unsicherheit wird zusätzlich genährt durch die widersprüchliche Haltung des Bundesrates gegenüber der Gentechnologie im Pflanzenbereich. Dieses Verbot wurde soeben wieder um vier Jahre verlängert mit dem Argument «die wissenschaftlichen Daten für eine Risikobeurteilung sind noch unzureichend». Was für Pflanzen gilt, soll für Menschen nicht gelten?

Mit der Pflichtzertifizierung für fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens ist der Kulturkampf 2.0 und die Zweiteilung der Schweiz wieder offizielle Doktrin, die Nichtgeimpften sind ausgegrenzt wie anno dazumal die Katholiken. Dass der Positivismus (der wissenschaftliche Unfehlbarkeitsanspruch, als ob die Wahrheit nicht vom Blickwinkel abhängig wäre und die Forschung je an ihr Ende käme) durch den «Kritischen Positivismus» Karl Poppers (1902–1994) längst relativiert ist – dass Wissenschaft immer nur der momentane Stand des Irrtums bleibt – wird mit «strategischem Verschweigen» belegt.

Oskar B. Camenzind, Brunnen